Bewegung und die menschliche Natur

Gesundes Arbeiten / Physiotherapie

Philipp Rey

Physio- und Manualtherapeut

Einleitung und Evolution
Bewegung ist sehr eng mit der menschlichen Natur verbunden. Durch Bewegung haben wir überlebt. Durch Bewegung haben wir es geschafft in Regionen zu kommen in denen mehr Essen ist. Sammeln und Jagen waren natürlich auch mit Bewegung verbunden.
Wie ist es heute? Heutzutage ist der Kühlschrank 15 Schritte entfernt und der nächste Supermarkt maximal 15 Minuten. Brauchen wir uns also noch bewegen, um an Essen zu kommen? Nicht wirklich. Und das ist der wahrscheinlich größte Nachteil der modernen Gesellschaft.

Spaziergang in der Natur

Bewegung war Pflicht, ohne Bewegung gings nicht. Aus diesem Grund liebt es der Mensch, sich in Ruhezeiten nicht zu bewegen und sich stimulieren zu lassen. Zudem konsumierte er sehr gerne energiereiches Essen. Wer wusste denn schon, wann dies das nächste Mal möglich ist? Diese negativen Eigenschaften sind quasi genetisch verankert. Biochemiker und Buchautor Chris Michalk [1] bringt es auf den Punkt:

Wenn der Mensch nun sein eigenes Umfeld gestaltet, wird er: faul sein, viel essen, sich gerne mental stimulieren lassen.

Fernsehen als Stimulation
eine Robbe, sinnbildlich für den inneren Schweinehund

Wie ist es heute?
Heute nennen wir das den inneren Schweinehund. Jedoch fehlt uns der Gegenspieler, die erzwungene Bewegung, wenn man so will.
Faulheit ist also genetisch verankert. Dann hat man endlich eine Ausrede oder? Es
macht die Sache auf jeden Fall logischer. Eins ist jedoch auch klar: Faulheit, Bewegungsmangel und Co. sind unter anderem Haupttreiber der stärksten Zivilisationskrankheiten. Wir stecken gewissermaßen in einem Dilemma. Wir müssen die Bewegung wieder in unser Leben bringen. Wir müssen dem auf Bewegung ausgelegten Körper das geben was er braucht. Und das in nicht allzu geringen Maßen.
Nun ist Bewegen und Faulenzen nicht nur eine Frage von Übergewicht bekommen oder nicht. Bewegung beeinflusst die Blutfettwerte, den Blutzuckerspiegel und hält Gelenke gesund. Zudem reguliert Bewegung den Hormonhaushalt und sorgt für einen ausgeglichenen Geist. Reicht das nicht um den inneren Schweinehund zu überwinden? Anscheinend nicht.

Die Richtwerte für Bewegung
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat Richtwerte angegeben, wie viel Bewegung ein erwachsener Mensch mindestens benötigt [2].
Laut BzgA sollten Erwachsene mindestens:

  • 150 min /Woche ausdauerorientierte Bewegung mit moderater Intensität
  • 75 min / Woche ausdauerorientierte Bewegung mit höherer Intensität
  • 2 x / Woche muskelkräftigende Tätigkeiten

…ausführen. Zudem sollen sitzende Tätigkeiten in regelmäßigen Abständen durch

Sitzende Tätigkeit

 Bewegung unterbrochen werden. Wow! Wer schafft das schon? Nicht viele, so viel ist klar. Natürlich ist es auch hier nicht „alles oder nichts“. Jeder Schritt ist wichtig. Aber da sehen wir wo wir hinmüssen. Wie viele Deutsche sind von diesen Richtwerten weit entfernt? Wie weit bist du von diesen Richtwerten entfernt?

Das Übermaß an Wohlstand

Der Teufelskreis des Wohlstands
Aber warum ist das so? Warum schaffen wir es nicht mal das Minimum an Bewegung einzuhalten? Der wahrscheinlich wichtigste Grund: Wir sehen die positiven Effekte von Bewegung nicht sofort. Das entspannende Gefühl auf dem Sofa bei Netflix und Chill ist jedoch sofort da. Der Körper ist eine Anpassungsmaschine, manchmal sogar zu gut anpassungsfähig. Jahrelang bleibt ein schlechter Lebensstil ohne Folgen. Doch dann kommen die ersten 5 Kilo Übergewicht. Das System gerät aus dem Gleichgewicht. Zu den 5kg gesellen sich leichter Bluthochdruck und leicht erhöhte Blutfettwerte. Heißhungerattacken nehmen zu und Gelenkbeschwerden beginnen. Wie groß ist nun der innere Schweinehund? Er wächst mit jedem Kilo, mit jedem Medikament, mit jedem Schmerzreiz im Körper oder jeder Abnormalität im Blutbild, so viel ist sicher.

Die Lösung
Ja wie soll ich denn nun aber so oft Sport machen? Das was du da oben schreibst ist doch das Wochenpensum eines Profisportlers! Naja stimmt nicht ganz, aber natürlich muss man es schlau angehen. Man muss eine Gewohnheit aus Bewegung machen und es an alltägliche Aufgaben oder Situationen binden.
Nehmen wir Punkt 1 der Liste der BzgA. 150 Minuten moderates Ausdauertraining. Folgende Fragen gehen mir dabei durch den Kopf:

  • Wie weit ist der Weg zur Arbeit, zum Bäcker, zum Supermarkt?
  • Was machst du so am Wochenende?
  • Welche Hobbys hast du?
Mit dem Rad zur Arbeit

Nehmen wir an, der Weg zur Arbeit beträgt 10 km. Kann man doch mal mit dem Bike
machen oder? Ist ja keine alles-oder-nichts-Entscheidung. 2-3x pro Woche 30-45 Minuten pro Strecke. Da kommt man schon fast auf die 150 Minuten und hat es gleich mit dem Weg zur Arbeit verbunden. Klar, es ist ein zeitlicher Mehraufwand, aber was gewinnst du dadurch? Dazu später mehr!

Ähnliches gilt für den Weg zum Bäcker oder zu Freunden. Lass das Auto stehen. Nimm dir die Zeit. Dein Körper und dein Geist werden es dir danken, wenn du auch mal deine Beine benutzt. Ist der Weg zur Arbeit einfach zu lang, kannst du auch in Erwägung ziehen, wochenends einen Spaziergang zu machen. Jeder braucht ein Hobby. Die, die mit Sport zu tun haben sind zudem sehr sinnvoll. Und genau genommen ist Sport kein Hobby, sondern eine Pflicht. Mach es dir zur Gewohnheit samstags in den Wald zu fahren und eine Runde zu drehen. Briefmarken sammeln mag cool sein, es geht aber nichts über eine Runde durch den Wald deines Vertrauens. Stichwort Waldbaden – obendrein ein echtes Brett, wenn es um mentale Gesundheit geht.

Springseil für intensive Ausdauerbelastung

Nun sollen wir auch 75 Minuten in der Woche ausdauerorientiertes Training mit höherer Intensität durchführen… Nichts leichter als das oder? Schnapp dir Nordic Walking Stöcke, ein Springseil oder deine Laufschuhe und zieh los. Du könntest auch schnell Radeln. Zum Beispiel auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Einfach mal den Pace um 5km/h erhöhen und du bist sofort bei höherer Intensität angelangt. Mach es nicht kompliziert. Du schaffst das nicht 75 Minuten pro Woche? Egal! 30 Minuten sind ein Anfang.

Krafttraining

Last but not least: Zwei Mal pro Woche muskelkräftigende Tätigkeiten. Okay, auch das
noch?! Ich habe aber keine Lust auf Fitnessstudio! Kein Problem. Geh zu YouTube, finde einen Trainer deines Vertrauens und mach ne kleine Kräftigung mit. Als Beginner sind Übungen mit dem eigenen Körpergewicht völlig ausreichend. Die Workouts im Internet sind meist kostenfrei und wenn du keine körperlichen Beschwerden hast, kannst du auch so ziemlich jedes Workout nachmachen. Sofern du Beschwerden hast solltest du dir allerdings einen Personal Trainer schnappen, der dir bei der Erarbeitung deines individuellen Trainingsplans hilft. Mach das bitte auch! Es gibt nichts Schlimmeres als wenn du Sport mit Schmerz assoziierst. So baust du dir eine Armee innerer Schweinehunde auf.

Die Folgen von zu wenig Bewegung
Aber was passiert denn, wenn ich nichts tue? Wenn ich einfach faul auf dem Sofa liegenbleibe. Immerhin ist das ja „natürlich“. Nicht falsch verstehen! Sich nicht zu bewegen ist extrem unmenschlich. Früher mussten wir, heute sollten wir. Das ist der kleine aber feine Unterschied.

Die BzgA hat auch dazu etwas herausgearbeitet. Die Vorteile, die Richtlinien einzuhalten einmal stichpunktartig [2]:

  • 30% niedrigere Gesamtsterblichkeit
  • Reduktion von Herz-Kreislauferkrankungen von 20-33%
  • Geringere Gefahr von Übergewicht und deren Folgen
  • Reduktion des Diabetes Typ II Risikos um 42%
  • Reduktion des Risikos für fast alle Arten von Krebs bei 30%
  • Geringere Chance an Osteoporose zu erkranken
  • Geringere Chance an Depressionen zu erkranken.
Testset zur Blutzuckermessung

Zeig mir eine Pille die das kann! Gibt es keine. Ein bisschen Bewegung pro Woche und meine Chance auf Herzerkrankungen sinkt um bis zu einem Drittel? Wow. Das Risiko auf Diabetes Typ II sinkt um weit über ein Drittel, obwohl diese Untersuchungen sich nicht ansatzweise mit Ernährung beschäftigen. Stell dir nun vor, du isst zudem noch besser…. Und der Angst-Gegner überhaupt. Krebs. Bewegung sagt dem Krebs den Kampf an. Ist das nicht Grund genug, seinen Tagesablauf ein wenig umzustellen? Ich hoffe doch.

Zusammenfassung
Halten wir kurz fest, was du in diesem Artikel gelernt hast:
  • Faulheit ist menschlich.
  • Wenig Bewegung jedoch nicht.
  • Wir brauchen die Bewegung, sonst drohen uns diverse Erkrankungen.
  • Es ist sehr simpel seinen Alltag umzustellen, jedoch nicht einfach.
  • Die Gründe für Bewegung wiegen die Gründe für Bequemlichkeit hundertfach auf. Wenn nicht durch Fleiß, dann durch die Furcht vor diversen Krankheiten.

Kleines Beispiel:
Ich setze die Maßgaben der BzgA folgendermaßen um:
Ich fahre täglich mit dem Rad zur Arbeit. Zugegeben, oft nehme ich das E-Bike, kann damit dennoch die vorgegebenen 150 Minuten moderates Ausdauertraining decken. Ab und zu fahre ich sehr schnell zurück und nehme dies direkt als Sporteinheit im intensiven Ausdauerbereich. Dazu kommen 2-3 Einheiten Volleyball oder während des Lockdown Intervalltraining. Somit kann ich an 75 Minuten intensives Ausdauertraining auch einen Haken setzen. Zusätzlich besuche ich 2-4 x pro Woche das Fitnessstudio und absolviere Einheiten von 45-60 Minuten, um auch diesen Part zu erfüllen.

Der Sport hilft mir, ein hohes Energielevel an den Tag zu legen und Dinge wie diesen Blogartikel schneller fertig zu stellen als wenn ich nur Zuhause sitzen würde. Und auch dabei haben wir nicht über Ernährung gesprochen.
Ich will dich bestärken! Bring Bewegung in dein Leben. Jeder Schritt zählt. Du musst nicht direkt alles richtig machen. Sei besser als letzte Woche. Sei konsequenter als letzte Woche. Und das über mehrere Wochen. Mehr braucht es nicht.
In diesem Sinne wünsche ich dir viel Erfolg bei der Integration von Sport in deinen Alltag.

Fragen zu diesem Artikel kannst du mir hier stellen.

Benötigst du individuelles Coaching auf deinem Weg zu mehr Bewegung? Dann klicke hier.

Liebe Grüße
Philipp

 


 

[1]: Michalk, Chris: Gesundheit optimieren – Leistungsfähigkeit steigern: Fit mit Biochemie. Springer; 1. Aufl. 2019 Edition (22. März 2019)
[2]: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2017): Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung. Köln: BzgA, S. 27-41

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